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Wie sieht es in Frankreich aus? Ein Interview mit Karim Amellal
13.04.07

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Karim Amellal, können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Ich bin 28, derzeit Lehrbeauftragter in Sciences-Po (Pariser Elitehochschule für Politikwissenschaft) und Autor. Letztes Jahr habe ich das politische Essay „Diskriminieren Sie mich! Untersuchung unserer Ungleichheiten“ veröffentlicht, in dem ich mich mit Fragen der kulturellen und sozialen Vielfalt auseinandersetze: Es geht dabei um Vorstädte, Integration, Differenz, Bildung, Diskriminierungen usw. Dieses Jahr habe ich den Roman „Cités à comparaître“ („Vorgeladen“, wobei cités auch Plattenbautenviertel heißt), der die gleichen Probleme in einem anderen Schreibstil behandelt.


Welcher Natur sind die Diskriminierungen, die Sie beschreiben? Wen betreffen sie besonders und wo sind sie am meisten verbreitet?
Die Diskriminierungen in Frankreich haben zwei Charakteristika: Sie sind kumulativ und institutionalisiert.
Kumulativ, weil sie sowohl mit dem Geschlecht, der Herkunft als auch mit der Religion oder dem Wohngebiet zu tun haben können. Zum Beispiel kumuliert ein junger Muslim mit Migrationhintergrund und aus einem „schwierigen Wohnviertel“ mehrere potentiell diskriminierende Eigenschaften: Er hat mehr „Chancen“, aufgrund einer bzw. aller dieser spezifischen Eigenschaften diskriminiert zu werden.

Die Diskriminierungen sind auch insofern institutionalisiert, als sie aus individuellen oder kollektiven, bewussten oder unbewussten Praxen und Verhaltensmustern bestehen, die in sozialen, ökonomischen und politischen Strukturen verankert sind. Anders gesagt: Das System schafft Diskriminierung. Rassendiskriminierung ist auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt besonders ausgeprägt und betrifft zwei Bevölkerungsgruppen: Ausländer (die die französische Staatsangehörigkeit nicht besitzen) und Leute „mit Migrationhintergrund“. In Wirklichkeit schafft das Stigma Differenz. Es ist dann nicht wichtig, ob man auf dem Papier Franzose ist oder nicht. Das zentrale Problem ist heute, dass man zwar die Existenz großer Diskriminierungen v. a. aufgrund der ethnischen Herkunft kennt, aber deren genaues Ausmaß nicht schätzen kann. Das hat mit unserem statistischen System zu tun, das nur in wenigen Fällen die ethnische Herkunft erfasst. Historisch lässt es sich durch die Angst der Zählung und der ethnischen Kategorisierung erklären, d.h. mit der Erfahrung im Vichy-Regime. Aber diese Situation stellt mehr Probleme, als dass sie Lösungen fördert.

Nehmen die Regierung und die Vereine das Problem wahr? Was unternehmen sie zur Bekämpfung der Diskriminierungen und sind sie darin erfolgreich?

Die Unruhen vom Herbst 2005 haben keinen Einfluss auf die reale Situation gehabt, aber sie haben dazu geführt, dass die Probleme wahrgenommen wurden und das ist nicht wenig. Denn während der 90er Jahre trug die Politik Diskriminierungen aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit nicht Rechnung. Das war ein großes Tabu. Die Unruhen in den Vorstädten haben die komplexe Situation der Jugendlichen mit Migrationhintergrund aufgedeckt. Ihre brutale und desinteressierte Gewalt – man spricht diesbezüglich von einer ziellosen Gewalt, d.h. ohne Profitperspektive wie z.B. bei einem Diebstahl – überraschte und schockierte, aber man hat sich auch mit den Ursachen dieser Gewalt auseinandergesetzt. Man hat endlich damit angefangen, über Rassendiskriminierungen zu sprechen. Viele Vereine wurden gegründet. Politiker haben zum Thema Stellung genommen. Die Politik selber hat – nach so vielen Jahren der Ignoranz – mit zwar kleinen aber doch existierenden Maßnahmen reagiert. Ich denke v. a. an die Gründung einer Koordinierungsstelle zur Bekämpfung von Diskriminierungen (die Haute Autorité de Lutte contre les Discriminations et pour l’Egalité, HALDE), an die Verstärkung ihrer Machtbefugnisse, die Gründung eines Ministeriums für Chancengleichheit oder die Verabschiedung einer „Vielfaltcharta“ usw. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist umstritten, aber wie gesagt: Sie gibt es zumindest. Doch angesichts des Umfangs der Diskriminierungen (die in zahlreichen wissenschaftlichen Studien dokumentiert wurden) ist man weit vom Ziel der Gleichstellung entfernt und das ist besonders inakzeptabel in einer Republik, in der Gleichheit ein fundamentales Prinzip ist. Bis jetzt ist die Wahrnehmung, die ich früher erwähnt habe, nur oberflächlich. Sie hat nicht die Einrichtung von statistischen Messinstrumenten nach sich gezogen, ohne die die Bekämpfung von Rassendiskriminierung unmöglich ist. Der politische Wille, von dem die Regierung spricht, hat nicht zur Formulierung von pro-aktiven und wirksamen Maßnahmen oder Politiken geführt. Das Beispiel der HALDE ist diesbezüglich charakteristisch. Während ähnliche Institutionen im Ausland, z.B. in England und Belgien, über beträchtliche Fördergelder, juristische Mittel und eine reale Sanktionsmacht verfügen, hat die HALDE ein lächerliches Budget (einige Millionen €) und nicht die finanziellen und menschlichen Mittel zur Erfüllung ihrer Aufgabe. Es handelt sich dabei also mehr um kosmetische Maßnahmen.


In den deutschen und internationalen Medien wurde viel über die Unruhen in den französischen Vorstädten im Herbst 2005 geredet. Wie haben Sie diese Ereignisse analysiert und was sind Ihrer Meinung nach ihre tiefen Ursachen?

Die Unruhen waren sowohl logisch als auch vorhersehbar. Seit langem waren alle Bedingungen für eine Explosion gegeben. Und sie sind es immer noch! Die Ursachen? Sie sind zuerst sozial: Präkarität und Armut bezeichnen das Leben in diesen gettoisierten Wohnvierteln, von denen sich die öffentlichen Behörden zurückgezogen haben. Die Stadt Clichy z.B., in der die Unruhen 2005 angefangen haben, hat nicht einmal einen Arbeitsamt. Und während man in einer Stunde mit dem TGV Paris-Lille (150 km) fährt, braucht man aufgrund der schlechten öffentlichen Verkehrmittel zwischen Paris und Clichy (15 km) 1,5 St.! Die Arbeitslosenrate in ärmeren Wohnvierteln ist 2 bis 3 Mal höher als die nationale Durchschnittsrate und sie liegt noch höher bei den Leuten mit Migrationhintergrund.

Diesem sozialen Unbehagen kam ein tiefes identitäres Unbehagen hinzu. Das sind Gründe, die man „kulturell“ nennen könnte, aber die Bezeichnung ist zum Teil ungeeignet, weil sie nur einen Teil der Realität entspricht. Das identitäre Unbehagen in den Vorstädten besteht aus mehreren diffusen Gefühlen: die Angst der Ausgrenzung, das Gefühl von einer Gesellschaft abgelehnt zu werden, die sich mit „Ausländern“ oder ausländisch aussehenden Menschen offensichtlich schwer tut, die Kluft zwischen den edlen Prinzipien der Republik und der Realität der Gettoisierung usw.

Es reicht also ein Funken – der Tod zweier zu Unrecht von Polizisten verfolgter Jugendlichen – um alles explodieren zu lassen. Diese tiefen Ursachen erklären jedoch nicht alles, v. a. nicht in den Ablauf der Ereignisse im Herbst 2005. Die Explosion war vorhersehbar, ihr Umfang und ihre Brutalität aber nicht. Andere für die Vorstädte spezifischen Dynamiken haben eine Rolle gespielt. Der Außenbetrachter kann da wenig durchblicken. Das Konzept des Films „Der Hass“ bietet eine gute Erklärung: Jedes Ereignis, das eine innere Gewalt veräußerlichen kann, wird gleich benutzt, ohne Schlichtung, ohne Dämpfer, ohne Katalysator. Vandalismus gegen öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Rathäuser zu betreiben, mag sinnlos erscheinen, aber es ist der Ausdruck eines blinden Hasses gegen all das, was einen schwachen Staat und eine autistische Gesellschaft symbolisiert. Das bewertet jeder in seinen moralischen Kategorien: Das ist gut oder schlecht. Aber bewerten bringt nichts. Man muss sich mit den tiefen Ursachen der Gewalt auseinandersetzen, um sie im Keim zu ersticken.

Manche Politiker und Journalisten äußerten damals und äußern noch heute gelegentlich die Angst, dass es auch in Deutschland zu einer solchen Gewaltexplosion kommen könnte. Was meinen Sie dazu, inwiefern ist diese Gewalt „typisch französisch“?


Die französische Situation ist in mehrerer Hinsicht einzigartig. Wie schon gesagt, es gibt zunächst eine große Kluft zwischen den edlen Prinzipien der Republik und der Realität der Vorstädte. Soziale Ungleichheiten und Rassendiskriminierungen erhöhen noch das Unbehagen und die Frustration, damit auch die Oppositionskräfte. Diese Situation gibt es in Deutschland nicht, denn die öffentlichen Behörden verstecken sich nicht hinter schönen Prinzipien, sondern handeln pragmatisch. Ich spreche hier von Deutschland, aber ich könnte auch Belgien oder Großbritannien nennen, wo Probleme objektiv, ohne Verzerrung oder Ideologie analysiert und wirksame und pragmatische Lösungen gefunden werden. Die deutsche Große Koalition ist ein gutes Beispiel: zwei antagonistische Parteien zusammen an der Macht wäre in Frankreich kaum vorstellbar!

Auch wegen der Einwanderungsgeschichte ist die französische Situation eine besondere. Die massive Einwanderung aus nicht-europäischen Ländern ist in Deutschland viel jünger und weniger Herkunftsländer sind vertreten, denn die meisten Einwanderer kommen aus der Türkei. In Frankreich erfolgte die nicht-europäische Masseneinwanderung in den 50er und 60er Jahren. Wir haben jetzt – um einen verbreiteten aber sehr problematischen Ausdruck zu benutzen – die „dritte Einwanderungsgeneration“. In Wirklichkeit sind die betroffenen Personen aufgrund des Bodenrechts Vollfranzosen, aber sie werden noch nicht ganz als solche betrachtet. Genau das zeigt die aktuelle Rassendiskriminierung: Sie hat weniger mit der Staatsangehörigkeit als mit der realen oder vermuteten Herkunft dieser Franzosen „mit Migrationhintergrund“ zu tun. Auf dem Papier Vollfranzose zu sein und im Alltag nicht als solcher anerkannt zu werden, ist wirklich unerträglich. Deshalb haben manche Jugendliche während der Unruhen vom Herbst 2005 ihre Ausweispapiere vor laufenden Fernsehkameras zerrissen. In der republikanischen Symbolik ist eine solche Geste gewaltig. Fügen Sie noch die störende Rolle der Medien hinzu und Sie bekommen einen explosiven Cocktail!

Die französische Besonderheit kann zuletzt mit dem postkolonialen Erbe erklärt werden. Ich unterstreiche nicht so gern die Bedeutung dieses Faktors, aber er ist tatsächlich wichtig. Nehmen wir den Artikel 4 des Gesetzes vom 23. Februar 2004, der von der „positiven Rolle der Kolonialisierung“ sprach! Der Verlust Algeriens spukt weiter in den Köpfen der Menschen und prägt weiter die nationale Phantasie. Da die Franzosen algerischer Herkunft die größte Einwandergruppe bilden, ist ihre Situation nicht zu beneiden: Sie sind als erste von Rassendiskriminierungen betroffen.

Denken Sie, dass mehr als ein Jahr nach den Unruhen die richtigen politischen Maßnahmen auf den Weg geleitet wurden, um die Probleme der Vorstädte zu lösen?

Bemühungen sind erkennbar. Der Bau von Sozialwohnungen hat sich deutlich beschleunigt. Ein Plan zur Chancengleichheit wurde herausgearbeitet. Ein Gesetz wurde verabschiedet. Manche Maßnahmen gehen in die richtige Richtung, wie z.B. die Einrichtung der HALDE oder von Exzellenzgymnasien, die Vielfaltcharta, die Schaffung von neuen städtischen Freizonen oder die Legalisierung des „Testings“ [Methode, durch welche festgestellt werden soll, ob z.B. eine Diskothek oder ein Unternehmen jemanden diskriminiert]. Andere Maßnahmen sind weniger überzeugend, wie die Berufsausbildung für 14-Jährige oder der Vertrag für „Elternverantwortung“, mit dem die Auszahlung des Kindergeldes unterbrochen werden kann, wenn das Kind die Schule schwänzt. Man kann auf keinem Fall sagen, dass nichts gemacht wurde. Reicht es aber? Ich denke nicht. Die Grundprobleme sind gleich geblieben: Die schulische, soziale und geographische Segregation besteht weiter und Rassendiskriminierungen scheinen weiterhin weit verbreitet. Ich sage „scheinen“, weil kein Messsystem eingerichtet wurde: In diesem Bereich bleibt man also eher im Dunkeln.

Man spricht oft nur von der dunklen Seite der Vorstädte. Wie sieht die andere aus?

Die dunkle Seite fällt natürlich mehr auf. Gerade diese Seite habe ich in meinem letzten Roman Cités à comparaître versucht zu beleuchten. Es ist verständlich, dass diese Seite heute mehr auffällt, weil man sie solange ignoriert hat. Jedoch wäre es skandalös und ganz unzutreffend, die Vorstädte und ihre Jugendlichen darauf zu reduzieren. Denn in den Vorstädten wird trotz der Probleme viel unternommen. Manche sind im Sport und auf der Bühne erfolgreich. Das ist bekannt. Manch andere schaffen es aber auch in der Schule oder in der Literatur. Das ist weniger bekannt, weil weniger sichtbar. In der Schule reicht manchmal eine gestreckte Hand, um Talente zu fördern und Erfolgsgeschichten zu ermöglichen. Gerade das macht die Elitehochschule Sciences-Po: Die Talente von morgen werden in Gymnasien der „Zonen prioritärer Schulbildung“ rekrutiert. Viele Unternehmen tun das auch. Warum? Weil die Vorstädte talentierte Menschen im Überfluss haben, in allen Bereichen. Die soziale und kulturelle Vielfalt stellt einen Mehrwert für die ganze Gesellschaft dar, vorausgesetzt man kann mit ihr umgehen. Alles läuft primär in den Köpfen ab und ich fürchte, der nationale Sozialkörper steht dieser Vielfalt noch wenig offen gegenüber. Da ist der Wurm drin…

Das französische republikanische Modell soll nicht mehr funktionieren. Wie definieren Sie dieses Modell? Ist das Modell das Problem oder seine Umsetzung in die Praxis? Wie könnte man es reformieren oder ersetzen?


Der Begriff „Modell“ scheint mir etwas übertrieben, aber da es immer wieder verwendet wird, kann ich es gern übernehmen! Das republikanische Modell ist also ein sehr schönes Modell… aber leider nur auf dem Papier! Beruhend auf den Prinzipien „Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit“ hat es in der Vergangenheit große Erfolge gehabt. Heute ist es mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert.

Es gibt zuerst die schon erwähnte Kluft zwischen Theorie und Praxis: Brüderlichkeit ist ein Verfassungsprinzip, in der Realität ist aber wenig davon zu spüren. Das republikanische Modell leidet auch unter Dogmatismus und einem Mangel an Flexibilität. Das u.a. meinte De Tocqueville mit seiner „Leidenschaft der Gleichheit“. Das Modell konzentriert sich auf Gleichheit und missachtet dabei Billigkeit. Doch vor allem Billigkeit brauchen wir heute. Das ist mit einer dritten Eigenschaft des französischen republikanischen Modells verbunden, die früher seine Kraft ausmachte und es heute schwächt: sein abstrakter und universeller Charakter. Denn die bewusste Missachtung einer Reihe von Partikularismen verhindert die Formulierung von gruppenspezifischen Problemlösungen. Es geht hier nicht um die Anerkennung von ethnischen oder religiösen Merkmalen, was den republikanischen Prinzipien und der Verfassung völlig widersprechen würde (und das ist auch gut so!), sondern um die Anerkennung von auf so genannten „Ausgangsungleichheiten“ basierenden Sondersituationen.

Der abstrakte Charakter des Gleichheitsprinzips führt dazu, dass bestimmte Phänomene, z.B. Rassendiskriminierungen, übersehen werden. Lange hat die Republik nichts unternommen, denn nach dieser Logik sind alle Individuen gleich, also kann es keine Diskriminierungen geben. Noch heute wird die Politik stark davon geprägt. Das erhöht die Frustrationen in den Bevölkerungsgruppen, die von diesen Ausgangsungleichheiten betroffen sind. Den Jugendlichen der Vorstädte, von denen viele einen Migrationhintergrund haben, wird gesagt, dass sie Franzosen mit den gleichen Rechten wie alle anderen Bürger seien, aber gleichzeitig gibt man ihnen ständig zu spüren, dass sie anders sind und dass sie wegen ihrer Herkunft, Sitten, Religion oder sonst was stören… Man sagt ihnen, dass Republik Gleichheit bedeute, aber überall herrschen Ungleichheiten vor und verstärken sich.

Die politische Repräsentation ist charakteristisch für dieses Unbehagen. Denn Bürger zu sein, heißt sowohl wählen als auch gewählt werden können. Aber was stellt man fest? Eine schockierende soziale und kulturelle Homogenität in den repräsentativen Organen, im Parlament aber auch in allen Orten der Macht: Bei den Hochbeamten, in den Großunternehmen usw. Wie kann man sich in einer Republik wieder erkennen, die sozial und kulturell uniform ist und in der die Repräsentanten nur sich selbst oder ihre soziale Klasse vertreten? Natürlich spielt sich viel sehr früh, schon in der Schule, ab. Die Elitehochschulen spielen nicht mehr ihre traditionelle Rolle der sozialen Förderung. Ihre Rekrutierung ist – abgesehen von Sciences-Po – homogen. Nicht nur die Elitehochschulen, sondern das ganze Schulsystem, tragen die Verantwortung für diese Situation: Die Schüler und Gymnasiasten der Vorstädte werden in ihrer Bildungslaufbahn sehr schlecht beraten.

Ob es Verbesserungsvorschläge gibt? Natürlich, Hunderte sogar! Ich gebe ihnen ein paar einfache, realistische und fundamentale. Zuerst muss man mehr Flexibilität in das republikanische Modell einführen. Positive Maßnahmen müssen ergriffen werden - nicht auf der Basis von ethnischen oder religiösen, sondern auf sozialen und geographischen Kriterien. Manche gibt es schon, z.B. mit den „Zonen prioritärer Schulbildung“ (ZEP) oder der Stadtpolitik, aber man müsste sie systematisieren und rationalisieren, anders gesagt sie effizienter gestalten. Die Gebiete der Republik, die chronische soziale und ökonomische Probleme haben – ich meine damit nicht nur die Vorstädte, sondern z.B. auch die Landgebiete – müssen zu einer Priorität der Regierung werden. Mehr Geld muss investiert und Synergien zwischen Schulen, Gymnasien und Universitäten in diesen Gebieten müssen gefördert werden, um spezifische pädagogische Projekte zu entwickeln. Ein anderer Vorschlag, der sowohl für die Schule als auch für die Polizei gilt, wäre damit aufzuhören, junge und unerfahrene Lehrer oder Polizisten in schwierigen Schulen einzusetzen. Diese Beamten müssten besser bezahlt werden und erfahrener sein. Damit könnten viele Katastrophen vermieden werden. Die Bekämpfung von Rassendiskriminierungen muss ihrerseits mit einer pro-aktiveren Politik angestrebt werden. Ein statistisches System muss eingerichtet werden, um die von Diskriminierungen betroffenen Bevölkerungsgruppen besser und verlässlicher zu identifizieren. Eine Vielfaltcharta gibt es, aber bis jetzt ist sie nicht mit Sanktionen verbunden. Das heißt, dass ein Unternehmen sie unterzeichnen und immer noch diskriminieren kann! Da müsste man etwas tun…


Herr Amellal, vielen Dank für das Interview.



Interview und Übersetzung aus dem Französischen von Clémence Delmas.


Blog von Karim Amellal: http://karimamellal.blogg.org/