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Interkulturelle Begegnung - Türkei
26.02.08
Von:  Christiane

Kategorie: ERFAHRUNGEN, Interkulturelle Begegnung

In dieser Serie werden Erlebnisse von Austauschschülern in muslimischen Gastfamilien vorgestellt. Die Berichte, die wir mit Genehmigung der Austauschorganisation AFS veröffentlichen, haben die Austauschschüler selbst verfasst. Ich liebe Istanbul mit all seinen Unterschieden! Obwohl die Türkei nur meine fünfte Wahl war, und außerdem noch viele Bedenken, von Seiten meiner Freunde und Verwandten hinzukamen, (in „solch“ ein Land für ein Jahr! zu gehen), bereue ich keine einzige Minute, die ich bis jetzt hier verbracht habe.
Ich bin hierher gekommen mit Sorgen, Befürchtungen, doch vor allem mit einem: Neugierde!
Es war für mich die erste Reise in die Türkei und ich konnte mir darunter wirklich überhaupt nichts vorstellen, außer dem Bild in meinem Hinterkopf, dass die in Deutschland lebenden Türken bei mir hinterlassen haben. Und ganz ehrlich gesagt war das nicht allzu positiv. Unterdrückte Frauen mit Kopftüchern, Armut, Islam, Dönerbuden zu Hunderten...

Um’s kurz zu machen, es ist alles ganz anders und mittlerweile hab ich es mir zur Aufgabe gemacht, alles im Gedächtnis festzuhalten, um bei der Rückkehr nach Deutschland sozusagen eine Aufklärung über dieses Land zu starten. Wir haben ein falsches Bild von diesen Leuten, das teilweise sehr veraltert und beschämend ist. Andererseits kann ich solche Ansichten nachvollziehen, denn es sind zwei Welten, die Türken in Deutschland und die Türken in der Türkei. Vielleicht gibt es sogar außer ihrer Sprache fast keine Gemeinsamkeiten!


Zuerst möchte ich von meinem täglichen Leben hier in Istanbul berichten. Meine Familie und ich sind einen Monat nach meiner Ankunft, in ein Apartment zwei Stöcke über unsere alte Wohnung gezogen, seitdem habe ich ein eigenes ziemlich großes Zimmer, dessen Einrichtung hauptsächlich von mir ausgesucht werden durfte. Die Hauptperson in meiner türkischen Familie ist meine viereinhalb-jährige Schwester Ayse. Sie ist ein Energiebündel und alle Aufmerksamkeit muss immer auf ihr ruhen. Sie sieht aus wie ein Engelchen (was auch ihr zweiter Vorname übersetzt heißt), kann sich aber manchmal wie ein Teufel aufführen, der auf mich und alles was ich mache oder bekomme eifersüchtig ist. Wenn sie mich nicht gerade zur Verzweiflung bringt, weil sie unbedingt etwas haben will, liebe ich sie wie meine richtige Schwester. Meine Eltern, die ich baba (Papa) und anne (Mama) nenne, haben trotz ihres Alters (beide um die vierzig) in den meisten Bereichen eine ziemlich jugendliche Einstellung, was, meiner Meinung nach, hauptsächlich an Ayse liegt. Sie lassen mir viele Freiheiten, was hier nicht selbstverständlich ist.
Meine Familie zu beschreiben ist ziemlich einfach: Ich denke, ich habe die beste Familie bekommen, die ich finden konnte und sie ist vielleicht europäischer als manche es in Deutschland sind. Allerdings haben wir nicht gerade viel Zeit miteinander zu kommunizieren, denn meine beiden Elternteile sehe ich immer nur abends für zwei Stunden, da sie beide viel Zeit in ihre Berufe investieren. Wegen diesen Umständen ist unsere anne anne (Oma) fast jeden Tag bei uns zu Besuch.
Wie gesagt, nimmt die Schule den größten Teil eines Tages in Anspruch. Die Schule ist ein Bereich, der alles andere als dem Deutschem ähnlich ist. Die Stundeneinteilungen, die Uniformen, der Umgang der Schüler miteinander, die Beziehung Lehrer zu Schülern, das Singen der Nationalhymne montags und freitags, die Examen, die Ferien. Die Uniform war anfangs ein echtes Problem für mich, mittlerweile sehe ich in ihr den Vorteil, dass ich nicht für jeden Tag verschiedene Kleidung brauche, die ich gar nicht hätte.
Man kann in Istanbul sehr schnell Freunde finden, immer und überall; ob das dann richtige Freunde, hierzulande „dost“ genannt, sind, ist eine andere Frage. „Dostler“ (Freunde) sind anscheinend nicht so wichtig in einer Stadt, in der jeder kommt und geht. Umso stolzer bin ich darauf, dass ich jemanden gefunden habe, den ich meinen „dost“ nennen darf. Meine Freundin Cagla, die ich über alles bewundere und trotz anderer Sprache, Kultur, Lebensweise und sozialer Hintergründe genau verstehe und ihre Gedanken nachvollziehen kann. Dasselbe gilt natürlich auch anders herum für sie. Vielleicht nennt man so etwas Schicksal. Es ist als ob wir uns schon immer gekannt hätten. Cagla geht mit mir in die Sprachenklasse, das heißt für uns unter anderem vier Stunden Englisch pro Tag und 4 Stunden Deutsch pro Woche.
Istanbul lässt sich zusammenfassen in ein Monstrum von Stadt, das aus slumähnlichen Hütten, Hochhäusern, Villen, riesigen Bürokomplexen nebeneinander besteht. Es existiert eine Riesenkluft zwischen arm und reich, zwischen wunderschön und verdreckt, hochmodern und uralt, islamischgeprägtem und Europa zugewandtem, teuerem und spottbilligem. Istanbul ist ein Phänomen und niemand weiß, wie lange es noch allem standhalten kann oder in welche Richtung es sich bewegen wird.
Es ist hier alles so anders, vor allem dass sich hier z.B., niemand um Weihnachten gekümmert hat, logischerweise. Es galt regulär Schule, außer für Christen, die 1% der Bevölkerung hier ausmachen. Für mich persönlich ist Weihnachten sehr wichtig, deshalb habe ich mit zwei der AFS Schülern Plätzchen gebacken, bin ich auch an Heilig Abend in die deutsche protestantische Kirche hier in Istanbul gegangen. Es hätte nur noch gefehlt, dass es zu schneien begonnen hätte, dann hätte ich wahrscheinlich total vergessen, dass ich in der Türkei bin und dieses Fest zum ersten Mal ohne meine Familie feiere. Deutschsprechende Personen, ein Krippenspiel, deutsche Lieder......
Ich denke hier bin ich an einem Punkt angelangt, bei dem man mich auf meine Türkischkenntnisse ansprechen würde. Nun, ehrlich gesagt, hätte ich es mir einfacher vorgestellt, ich habe mich eigentlich immer sehr leicht mit Sprachen getan, aber Türkisch ist so ganz anders. Ich kann inzwischen alle Fehler nachvollziehen, die Türken im Deutschen machen, denn sie übersetzen einfach alles, und behalten den türkischen Satzbau bei. Das macht im Türkischen alles Sinn.
Ich besitze Grundkenntnisse und versuche mir den Rest zusammenzureimen, aber oftmals ist man der Konzentration müde, und sagt es in nur fünf Sekunden in Englisch. Man braucht hier einen echt starken Willen, es sich nicht zu einfach zu machen, und der ist bei mir noch nicht so groß. Allerdings hat man mir gesagt, dass meine Aussprache ziemlich gut ist, vielleicht sollte ich echt nur einfach drauflosreden. Am besten geht das mit den Taxifahrern, die dich über Fußballvorlieben usw. ausfragen und dir einfach nicht glauben, dass du kein Türkisch kannst. Letztendlich bleibt dir nichts anderes übrig als mit ihnen zu diskutieren.
Wir haben jeden Samstag zwei Stunden lang im AFS-Büro Türkischunterricht, allerdings ist es klar, dass man Türkisch nicht durch Grammatik büffeln, sondern hauptsächlich Freunde und Familie, also reden, reden, reden lernt.
Das einzige Problem, dass sich bei mir immer deutlicher zeigt ist, dass ich mehr und mehr Deutsch vergesse. Das ist manchmal ziemlich beängstigend, dir fällt das Wort auf allen möglichen Sprachen ein, mit Ausnahme des Deutschen. Es fällt mir echt schwer mich auf Deutsch zu unterhalten und falle manchmal selbst ins „Ausländerdeutsch“ zurück. Deshalb möchte ich meine Ausdrucksweise, Satzstellungen in diesem Bericht entschuldigen.
Ich habe eine deutsche Freundin an meiner Schule, die vor vier Jahren nach Istanbul gekommen ist. Sie hat mir erzählt, dass es einem schwer fällt nach einem Jahr in Istanbul, diese Stadt wieder zu verlassen, denn es übt eine solche Anziehungskraft aus. Ich habe keine Ahnung wie es sich auf mich auswirken wird. Eins weiß ich allerdings schon jetzt ganz genau, man kann Istanbul entweder lieben oder hassen...
Ich liebe es mit allen seinen Unterschieden und Differenzen!